Welcher Führungsstil ist der beste?
Jutta Reichelt spricht über unterschiedliche Arten der Führung und verdeutlicht, welche Rolle intrinsische Motive dabei spielen.
„Gibt es den einen zukunftsweisenden Führungsstil?“ – diese und ähnliche Fragen bekommt Jutta Reichelt des Öfteren gestellt. In einer immer komplexeren und vielfältigeren Welt fällt es zunehmend schwer, einen Führungsstil zu finden, mit dem alle im Unternehmen klarkommen. Die Versuche, einen einheitlichen Führungsstil zu schaffen, scheitern immer wieder aufs Neue. Aus diesem Grund möchte Jutta Reichelt ermuntern, einen neuen Blickwinkel zum Thema einzunehmen und Führung unter dem Gesichtspunkt der intrinsischen Motive zu betrachten.
Die Ansprüche an Führung und Führungspersonen sind in den vergangenen Jahren sowohl seitens der Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer stark gewachsen. In Zeiten der Veränderung sei es wichtig, die Haltung zu Führung zu überdenken und neu zu definieren. Meist wird Führung jedoch in Konstrukte wie „klassisch“ oder „Servant Leadership“ gepresst. Diese vernachlässigen die Individualität der Menschen und sind in einer modernen Arbeitswelt nicht mehr zukunftsweisend. Insbesondere „Servant Leadership“ ruft viel Begeisterung hervor und gilt als eines der Führungsmodelle schlechthin. „Hier werden die Hierarchie-Ebenen von Teams oder sogar gesamten Organisationen auf den Kopf gestellt. So geben nicht länger die Führungskräfte den Ton an, sondern die Menschen, die für Dienstleistungen und Produkte zuständig sind, sprich die Mitarbeitenden“, erklärt Jutta Reichelt. Um diesem Rollenbild gerecht zu werden, brauchen Führungskräfte unter anderem Fähigkeiten wie Empathie und Demut. Auch seien diese sogenannten „Servant Leader“ daran interessiert, ihr Team besser kennenzulernen und zu unterstützen. Alles in allem handle es sich hierbei um eine Art der Führung, die den Dienst am Nächsten priorisiert, offen für Kritik ist und Wachstum ermöglicht. Dennoch sei es auch ein Konstrukt, welches gewissen Regeln folgt und somit nicht die komplette Bandbreite der Individualität der Mitarbeitenden bedient – auch wenn der grundsätzliche Weg gut ist.
Neben dem gehypten „Servant Leadership“ gibt es in vielen Unternehmen noch eine klassische Art der Führung. Was diese definiert, führt Jutta Reichelt aus: „Hier treffen wir auf ein Ich-Konstrukt. Die Rollen sind klar verteilt und so ist es nur logisch, dass die Führungskraft Entscheidungen trifft und dafür auch die Verantwortung übernimmt. In der Regel hat die Führungsperson einen guten Gesamtüberblick und delegiert die Aufgaben an die jeweiligen Mitarbeitenden.“ Auch dieser Führungsstil hat Vorteile, zum Beispiel in Konzernen, in denen Macht und Einfluss ein wichtiger Teil der Kultur sind. Führungskräfte, die dem klassischen Stil folgen, werden oft als distanziert wahrgenommen und haben meist ein höheres Stressniveau als „Servant Leader“. Zudem kristallisiert sich heraus, dass das Team oder Unternehmen auf dieselben Themengebiete fokussiert ist, wie die jeweilige Führungskraft es anstrebt.
In beiden Fällen von Führungsstilen spielen intrinsische Motive eine Rolle, denn diese bestimmen letztendlich über die Führung. Jutta Reichelt führt zur Verdeutlichung Beispiele an: „Die 38-jährige Führungskraft Florian wird von ihren Mitarbeitenden vermehrt darum geben, mehr Struktur und klare Zuständigkeiten zu schaffen. Florian selbst möchte allerdings flexibel agieren und lehnt daher feste Strukturen ab. Stattdessen versucht Florian, die Mitarbeitenden von den Vorteilen der Flexibilität zu überzeugen.“ Ein weiteres Beispiel ist die 43-jährige Özlem, die als Teamleiterin in einem Call-Center angestellt ist. Ihre Mitarbeitenden fühlen sich zu wenig wertgeschätzt und beklagen sich über zu wenig Lob. Sie als Führungskraft könne das nicht nachvollziehen, denn als selbstsicherer Mensch braucht sie keine Anerkennung von außen.
Beide Beispiele zeigen deutlich, dass ein einzelner Mensch oder auch eine homogene Gruppe nicht in der Lage ist, eine komplexe Aufgabe wie die Führung vieler verschiedener Menschen vollends zu meistern. „Ein Mensch allein kann nicht alle Bedürfnisse der Mitarbeitenden abdecken und entscheidet sich häufig, vor allem unter Stress, dazu, sich von den eigenen intrinsischen Motiven leiten zu lassen“, ergänzt Jutta Reichelt. Bei einer Gruppe von Führungskräften, die sich sehr ähnlich sind, entscheiden immer die inneren Antreiber über den Führungsstil, wohingegen sich in einer unterschiedlichen Gruppe die Ausprägungen dieser Antreiber ausbalancieren. Der ausschlaggebende Punkt ist, wie diese Diversität genutzt wird – und dabei spielt der Führungsstil nur eine untergeordnete Rolle.
Im Kern geht es nicht darum, welcher Führungsstil besser oder effektiver ist, sondern darum, welche Persönlichkeiten die Führungskräfte haben und was sie antreibt. Jutta Reichelt hat eine klare Empfehlung: „Führungskräfte sollten nicht jedem Trend folgen, sondern aus den intrinsischen Motiven heraus einen artgerechten Führungsstil wählen.“