Selbstorganisation ist kein Selbstläufer
Warum Selbstorganisation in Teams kein Selbstläufer ist und worauf Führungskräfte bei der Umstellung beachten sollten, erläutert Jutta Reichelt.
Selbstorganisation – ein Begriff der in nahezu jedem Unternehmen schon gefallen ist. Man wünscht sich Mitarbeitende, die sehen, was es zu tun gibt, dies selbstständig einplanen und am Ende pünktlich ein Ergebnis liefern. Führungskräfte wollen, dass ihre Mitarbeitenden genauso arbeiten, doch viele haben dies im Arbeitskontext verlernt. Um den Grund dafür zu verstehen, wirft Jutta Reichelt einen Blick zurück in die Vergangenheit: „Selbstorganisiertes Arbeiten war für die Menschen vor der Industrialisierung normal. Wer beispielsweise nähte, der nähte wann und wie viel er oder sie wollte. Mit der Industrialisierung und der Fließbandarbeit, kam die Anstellung und der Stundenlohn – und damit verschwand die selbstorganisierte Arbeit aus den meisten Branchen.“ In der Konsequenz wurde dann bereits den Kindern in der Schule beigebracht, was sie wie und wann zu tun hätten, was sich im Berufsleben fortsetzte. Selbstorganisiertes Arbeiten sei somit zur Illusion geworden, so Jutta Reichelt, die Organisationen auf Erfolgskurs bringt, und es entstand der Trugschluss, dass sich Führungskräfte am besten ganz raushalten, damit ihre Mitarbeitenden wieder lernen, sich selbst zu organisieren. „Doch wer eine Veränderung möchte, sollte sich zuerst selbst bewegen. Gerade Führungskräfte haben enormes Potenzial Veränderungen voranzutreiben“, betont Reichelt.
Wer seinen Mitarbeitenden zukünftig nicht jeden Schritt vorgeben will, müsse sehr klar in der Führung werden und einen Rahmen definieren, in dem sich die Menschen innerhalb der Organisation frei bewegen können. Darüber hinaus sei es Aufgabe der Führung, die Weiterentwicklung des Teams in Bezug auf das Miteinander, potenzieller Konflikte und innerer Blockaden zu ermöglichen. Jutta Reichelt spricht in diesem Zusammenhang von menschlicher Führung. Diese müsse gar nicht durch die eigentliche Führungskraft ausgeübt werden, sondern kann auch einer anderen Person übertragen werden. Wichtig sei, dass diese nicht Teil des Teams ist und nicht aktiv im Alltagsgeschäft beteiligt ist. In dieser Rolle brauche es allerdings ein breites Kompetenzrepertoire, das zum Beispiel auf Fragen abzielt, wie Menschen sich in Systemen und Gruppen verhalten, wie man sie in eine Richtung ermutigen kann und Dynamiken richtig einsetzt. Damit Führungskräfte sich dahingehend selbst reflektieren können, gibt Jutta Reichelt ihnen einige Fragen mit auf den Weg. „Man sollte zunächst bei der Haltung beginnen und sich fragen, wie es um die eigene Offenheit hinsichtlich anderer Ansichten, Perspektiven und Meinungen steht.“ Ebenso wichtig sei es, sich zu hinterfragen, wie man mit Beschwerden umgehe, aktiv zuhören könne und das Gesagte in den Prozess der Weiterentwicklung integrieren kann. Nörgeleien sollten hierbei positiv gesehen werden, denn meist deuten diese auf Schwachstellen hin, die durch gute Führung beseitigt werden können. Weitere Fragen zur Selbstreflexion hat die Beraterin in ihrem Blog „Flaschenpost“ zusammengestellt.
Im Prozess hin zu selbstorganisierten Teams, gelte es auch regelmäßig Feedback einzuholen. Neben den klassischen 1-zu-1-Gesprächen empfiehlt Jutta Reichelt einmal im halben Jahr eine größere Umfrage durchzuführen, um Aufschluss über die Zufriedenheit zu bekommen. „Anpassungen geschehen nicht von heute auf morgen. Es braucht Zeit, bis sie sich in der Unternehmenskultur verankert haben. Veränderungen sollten in erster Linie kontinuierlich erfolgen, da es bei einem Stillstand dazu kommt, dass das Team aufhört, dynamisch zu arbeiten“, gibt Jutta Reichelt zu bedenken und zeigt im Folgenden drei Themengebiete, die sie mit Führungskräften auf dem Weg zu selbstorganisierten Teams bearbeitet.
Der erste Bereich ist der Wissensaufbau von Methoden. Das Unternehmen wünsche sich aktive Mitarbeitende, die Ergebnisse erarbeiten und gemeinsam Entscheidungen treffen. Da sie dies jedoch meist noch nie in selbstorganisierter Weise getan haben, sei die Führungskraft gefragt, diese Verhaltensweisen gezielt mit bestimmten Methoden zu fördern. Auch für die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden bedarf es gewisser Methoden. „Die Führungskraft sollte in die Rolle eines Coachs schlüpfen können. Auf diese Weise können Mitarbeitende befähigt werden, eigene Lösungen zu finden, ohne dass man selbst eingreifen muss. Außerdem kann mit unterschiedlichen Coaching-Methoden die Selbstverantwortung im Team gesteigert sowie das Potenzial jedes einzelnen besser ausgeschöpft werden“, erläutert Jutta Reichelt.
Im zweiten Bereich gehe es um den Wissensaufbau hinsichtlich Gruppendynamiken. Menschen verhielten sich immer systemrelevant. Je nachdem in welchem System sie arbeiten, orientieren sie sich danach, um bestmöglich zu überleben. Aus diesem Grund geht Jutta Reichelt in der Zusammenarbeit mit Unternehmen Fragen auf den Grund, wie „Welche unterschiedlichen Gruppendynamiken gibt es und wie kann man sie sinnvoll nutzen?“, „Was muss das Team wissen, um mehr Akzeptanz in Sachen menschlicher Individualität zu entwickeln und mit Unterschieden umgehen zu können?“ oder „Wie lassen sich Konflikte frühzeitig erkennen und lösen?“.
Im letzten Bereich geht Jutta Reichelt auf die vier Phasen ein, die jedes Team durchlaufe: Kennenlernphase, konfliktreichere Phase, in der Rollen, Standpunkte und Verantwortlichkeiten austariert werden, Phase der neuen Regeln, Normen und Werte und die Performance-Phase, in der das Team performant arbeitet. Hier gelte zu beachten, dass sobald Veränderungen eintreten, zum Beispiel durch einen Personalwechsel, das Team wieder in der ersten Phase anfängt und alle erneut durchläuft. „Selbstorganisation ist nicht von heute auf morgen implementiert, nehmen Sie sich also Zeit, um diesen Prozess Schritt für Schritt anzugehen und dabei niemanden auf der Strecke zu lassen“, zieht Jutta Reichelt ein abschließendes Fazit.